Mythen

Mythos #1: „PROSTITUTION IST DAS ÄLTESTE GEWERBE DER WELT.“
Falsch! Es ist die Geburtshilfe. Einer der ersten Berufe der Welt war die Hebamme. Prostitution entstand im dritten vorchristlichen Jahrtausend, gemeinsam mit Krieg und Sklaverei. Die ersten zur Sklaverei und Prostitution gedrängten Menschen waren Frauen. Wer von veralteten und heute obsoleten Berufen sprechen möchte, darf gerne den Blick auf Zuhälterei lenken. Auch hier gilt: Nur weil etwas lange existiert, bedeutet dies nicht, dass es nicht geändert werden kann oder sollte. Wir sagen schließlich auch nicht „Mord gab es schon immer, da können wir nichts machen.“

Mythos #2: „ES IST EIN JOB WIE JEDER ANDERE.“
Kennt Ihr einen anderen Job, bei dem die Sterberate 10 bis 40 Mal über dem Durchschnitt liegt? Bei dem 60
bis 80% der „ArbeiterInnen“ regelmäßig sexuelle oder psychische Gewalt erleben? Wenn es ein Job wie jeder andere ist, wieso gibt es keine Ausbildung dazu? Keine IHK Prüfung? Wieso sollten die Jobcenter nicht in die Richtung vermitteln? Think about it!

Mythos #3: „VIELE MACHEN ES FREIWILLIG.“
„Wenn Frauen in dieser Gesellschaft mehr wirtschaftliche Wahlmöglichkeiten hätten, dann würden sie nicht wählen, in der Prostitution tätig zu werden,“ sagte Fiona Broadfoot, Überlebende aus Großbritannien. Freiwilligkeit ist immer innerhalb eines Kontexts zu betrachten. In Europa ist Geschlechtergerechtigkeit
nicht vollkommen erreicht. Stichwort: gender pay gap (16%), Gewalt gegen Frauen (1 von 5 Frauen wird in ihrem Leben Opfer Häuslicher Gewalt), Sexistische Stereotype, die Unterrepräsentation von Frauen in der Wirtschaft, den Hochschulen und der Politik. In einem Kontext, in dem Frauen Diskriminierung, Armut und Gewalt erleben, kann auch ihre Zustimmung zu sexuellen Handlungen erkauft werden. Außerdem spricht man bei 90% von Zwangs- und Armutsprostitution. Es muss nicht immer der Zuhälter sein, der Gewalt anwendet. Manchmal werden Frauen auch von ihren eigenen Familien in die Prostitution geschickt. Und selbst wenn völlig freiwillig: In jungen Jahren treffen Menschen häufig falsche Entscheidungen für sich, die nicht mehr Rückgängig gemacht werden können. Man denke z. B. an Pornodarstellerinnen, die ihre Filme nie wieder aus dem Netz bekommen, obwohl sie klare Fälle von Gewalt waren. Stichwort: Linda Lovelace. Laut einer UN-Studie wurden zwei Drittel aller Prostituierten von Freiern vergewaltigt. Drei von vier konsumieren Drogen oder Alkohol. Die Mehrheit der Frauen hat als Kind sexuelle Gewalterfahrungen gemacht. Weitere Studien zeigen: 80 bis 90 % würden sofort aus der Prostitution aussteigen – wenn sie könnten.

Mythos #4: „OHNE PROSTITUTION GIBT ES MEHR VERGEWALTIGUNGEN”
In Wirklichkeit scheint es andersherum: Studien haben gezeigt, dass Männer Sex kaufen weil es möglich ist. Die Normalisierung von Prostitution fördert Gewalt gegen Frauen indem signalisiert wird, dass Frauen sexuelle zur Verfügung stehende Waren sind. Nevada, wo Zuhälterei legalisiert wurde, weist im Vergleich mit anderen Bundesstaaten die höchsten Vergewaltigungszahlen auf. In einer Studie über Männer gaben 54% der Freier an, sich aggressiv gegenüber ihren Sexualpartner*innen verhalten zu haben. Wie eine Gesellschaft mit Vergewaltigungen umgeht, zeigt sich auch in den Zahlen der Anzeigen – Wenig Anzeigen und Gerichtsurteile sind kein Grund zur Freude. In Deutschland sollte man sich darüber im Klaren sein. Stichwort: Rape Culture!

Mythos #5: „MENSCHENHANDEL UND PROSTITUTION SIND VERSCHIEDENE THEMEN.”
Solche Behauptungen widersprechen der Realität: wenn Prostitution nichts mit Menschenhandel zu tun hat, warum dann werden Menschen, insbesondere Frauen gehandelt? Nach Angaben der EU geschieht 62% des Handels mit dem Ziel einer sexuellen Ausbeutung – also Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung. Laut BKA findet diese Form des Handels hauptsächlich im Prostitutionsmillieu statt. Also Ende der Diskussion oder woher ergeben sich offizielle Milliardensummen des Prostitutionsgeschäfts? Es ist naiv die beiden Themen zu trennen. Trotzdem sollte klar sein: Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung ist nur eines von vielen Problemen im Prostitutionssystem.

Mythos #6: „PROSTITUTION BRINGT VIEL GELD.”
Wem? Nach Angaben von Interpol verdient ein Zuhälter über 100.000 Euro pro Jahr pro Prostituierte. Wie kommt es, dass die Mehrheit der Frauen, die sich prostituieren selbst kein Auto und keine Wohnung besitzen oder Geld für die Zukunft sparen, wenn es doch ein solch rentabler Job ist? Die Idee, dass Prostitution viel Geld bringt ist ein Mythos. Es ist ein absolutes No Go zu Aussteigerinnen und Überlebenden zu sagen, sie hätten im Business etwas falsch gemacht. Der Fehler liegt in der Haltung der Gesellschaft.

Mythos #7: „BEI PROSTITUTION GEHT ES UM SEXUELLE FREIHEIT, KRITIK IST SEXFEINDLICH.”
Wessen sexuelle Freiheit? Die meisten stimmen zu, wenn wir sagen, dass sexuelle Freiheit darin besteht, dass wir über unsere sexuelle Gesundheit und Rechte, basierend auf Gleichheit, frei von Diskriminierung, Zwang und Gewalt (Definition der WHO) verfügen. Wir sind der Ansicht, dies kann nicht erreicht werden so lange Sexualität unter Einfluss des Marktes steht. Menschen überschreiten ihre eigenen Grenzen des Geldes (und nicht der Lust) wegen. Männer überschreiten Grenzen, weil sie sich als Kunde und König begreifen. Sei hier nur an das heimliche oder bewusste Abziehen des Kondoms hingewiesen. Stichwort: Stealthing! Das führt in den meisten Fällen zu negativen Folgen für Körper, Geist und Seele.

Mythos #8: „PROSTITUTION BRINGT ÖKONOMISCHE UNABHÄNGIGKEIT.”
In Zeiten der Krise, mit hoher Arbeitslosigkeit und zunehmendem Rassismus, wäre es sehr einfach zu sagen, dass Prostitution sei. Es würde sogar helfen die Arbeitslosenzahlen zu senken! Aber die tatsächlichen Probleme liegen woanders: im Arbeitsmarktzugang, der Anerkennung von Bildungsabschlüssen und den Aufenthaltsrechten. Das schnelle Geld mag real sein, aber genauso schnell ist es wieder weg. Sind die Risiken des Prostitutionsystems das schnelle Geld wert? Eher nicht.

Mythos #9: „PROSTITUTION IST SEXUELLE SELBSTBESTIMMUNG, ALSO FEMINISTISCH.”
Frauen haben in der Tat in den 1970ern in Europa für die Anerkennung ihrer reproduktiven und sexuellen Rechte gekämpft. Sie haben strukturelle Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern und jede Autorität angeprangert, die ihre Sicht über die Rechte der Frauen zu stellen versuchte: Religion, Tradition.und den Markt. Die Kommerzialisierung von Sexualität und dem Körper der Frau kann nicht als ein Teil dieses Kampfes gesehen werden: bei Prostitution geht es um Männer, die sich selbst berechtigen Sex zu kaufen, nicht um die Verwirklichung der Gleichheit. Seit der Einführung der Pille wurde mehr gevögelt, aber bis heute werden Frauen mit vielen verschiedenen Sexualpartnerschaften stigmatisiert, im Gegensatz zu Männern, welche in ihrer Männlichkeit bestärkt werden. Seit den Kämpfen der 70er Jahren, hat sich bis heute nicht viel verändert, hinsichtlich der Rollenzuschreibungen. Kurz nachdem Mitte der Neunziger „Vergewaltigung in der Ehe“ unzulässig wurde, hat man mit der Aufhebung der Sittenwidrigkeit, den Markt für Prostitution in neuem Maß eröffnet, und den Ehemännern somit legale Alternativen geboten. Wenn das kein zeitlicher Zufall ist?!

Mythos #10: „VIELE BEHAUPTEN ES SEI IHR RECHT SICH ZU PROSTITUIEREN.”
Manche Menschen können in der Tat behaupten sich frei für die Prostitution entschieden zu haben,
aber eine demokratische Gesellschaft gründet sich nicht auf Basis eines individuellen Wunsches, welcher nicht die Situation der Mehrheit widerspiegelt. Hier steht die Zukunft, die wir gestalten, die Gesellschaft, in der wir leben möchten, auf dem Spiel. Und in diesem Moment sollte uns wichtiger sein für Gesetze zu kämpfen, die für ein friedliches Miteinander sorgen und keine „Rape Culture“ fördern. Das Nordische Modell, mit seinem Sexkaufverbot – bestraft nur Männer, die für Sex bezahlen. Menschen, die sich prostituieren möchten bleiben straffrei. In Deutschland bezahlen sehr viele Prostituierte Bußgelder, wenn sie auf sogenannten Sperrbezirken Kunden anwerben oder ihre Dienste während der Pandemie anbieten. Außer Männer als zahlende Kunden – diese dürfen immer und überall Fragen, was es kostet und mit Geldscheinen wedeln. Komisch, oder?

Mythos #11: „NUR SEXWORKER SOLLTEN ÜBER DIESES THEMA SPRECHEN, DA SIE SICH DAMIT AM BESTEN AUSKENNEN.”
Ja das stimmt. Wir sollten aus den Erfahrungen Betroffener lernen. Wieso sollten aber den aktiven „Sexworkern“ mehr Relevanz im Diskurs zugeschrieben werden, wenn inaktive mehrfach erklären, dass man es sich selbst schönredet. Es gibt zahlreiche Beispiele von Frauen, die erzählen und schreiben welche Mechanismen dahinterstecken. Kennst du Rosen Hicher? Für jede mediatisierte Sexarbeiter*in gibt es viele Überlebende der Prostitution, die sich aufgrund der Traumata und ihrer Erfahrungen nur selten äußern (möchten) - und Millionen von Menschen in der Prostitution, die unsichtbar sind. Es ist Zeit diesen zuzuhören #ListentoSurvivors!

Mythos #12: „SEXKÄUFER RETTEN OPFER VON MENSCHENHANDEL DURCH IDENTIFKATION.“
Die Realität ist nicht wie im Film „Pretty Women“. Ein Sexkäufer, der eine Frau „rettet“, oder einen Fall von Menschenhandel anzeigt, ist sehr selten. Viele Männer turnt es sogar an das zu merken (siehe Freierforen, höre Erfahrungsberichte) und die meisten möchten sich nicht als Sexkäufer outen. Sie bleiben Sexkäufer; die Existenz von „netten Sexkäufern“ reduziert die Nachfrage nicht, verwechselt lediglich eine romantische Vorstellung von Prostitution mit der Realität.

Mythos #13: „PROSTITUTION VOR ALLEM FÜR SOZIAL ISOLIERTE UND EINSAME MÄNNER WICHTIG.”
Sexkäufer entsprechen nicht diesem Stereotyp: Internationale Studien zeigen, dass die Mehrheit der Sexkäufer verheiratet oder in einer Beziehung sind und zudem öfter eine größere Anzahl von Sexualpartnerschaften als der Rest der männlichen Bevölkerung hat. Argumentiert man Prostitution als soziale Institution, würde das bedeuten, dass manche Menschen für die Bedürfnisse dieser Männer geopfert werden müssten. Ob eine Frau einsam und sozial isoliert ist, darüber denkt wohl keiner nach? Und falls doch – würde unsere Gesellschaft hierfür sexuell zur Verfügung stehende Männer als Lösung vorschlagen? Eher nicht. Übrigens ist die Hauptzeit der Nachfrage an Werktagen in der Mittagspause.

Mythos #14: „DIE NACHFRAGE WIRD NIEMALS VERSCHWINDEN.”
Was für eine traurige Vision von Männern: Ginge man nach dieser Annahme, wären Männer ihren nicht beherrschbaren Bedürfnissen ausgeliefert und handelten nicht mit ihrem Verstand. Das ist umso erstaunlicher bedenkt man, dass die Mehrheit der Männer keine Freier sind. Die Nachfrage wird durch eine bestimmte Idee von Männlichkeit begründet, die Stereotype über Männer in unserer ungleichen Gesellschaft vermittelt. Nachfrage kann durch Bildung, Prävention und Gesetze reduziert werden. So einfach ist das. Fatalismus wird von Menschen benutzt, die unsere Gesellschaft nicht ändern möchten.

Mythos #15: „DAS NORDISCHE MODELL IST EIN PROSTITUTIONSVERBOT.“
Es gibt einen großen Unterschied zwischen der restriktivsten Herangehensweise, der Prohibition, die alle Beteiligten (auch die Prostituierten selbst) bestrafen will und der weniger restriktiven Herangehensweise, der Abolition, die auf die Käufer, Zuhälter und Händler zielt.
Bei der Abolition geht es darum auf die strukturellen und ökonomischen Probleme und die psychologische und physiologische Gewalt, die Teil der Prostitution ist, zu zielen und somit die betroffenen Personen zu supporten und die Täter, egal ob Zuhälter*innen oder Kunden zu bestrafen. Die Abolitionisten wollen darüber hinaus konkrete Alternativen für Prostituierte schaffen und Mentalitäten ändern. Das Nordischen Modell besteht aus fünf Maßnahmen:#

1. Unterstützung prostituierter Menschen (z. B. Entfall der Bußgelder in Sperrbezirken, Ausstiegshilfen)
2. Sexkaufverbot (Einführung von Bußgeldbescheiden, Pflicht zur Teilnahme eines Reflektions-
Workshops)
3. Einschränkung des Profits an Prostitution (Zuhälterei so schwer wie möglich machen -in Dtl. ist die
Eröffnung eines Bordells einfacher als die, einer Imbissbude – wo leben wir?)
4. Aufklärung über Prostitution (Kampagnen, Sensibilisierung, Aufklärungsveranstaltungen)
5. Prävention (Antisexismus in allen Bildungsstufen)

Mythos #16: „DAS SEXKAUFVERBOT FÜHRT ZUR VERSCHIEBUNG IN DIE ILLEGALITÄT UND MEHR GEWALT.”
Mehr Illegalität für die Profiteure – Ja!. Menschen, die sich selbstbestimmt prostituieren (möchten) befinden sich in keiner Illegalität – Ihre Kunden jedoch haben Bußgelder und Selbstreflektions-Workshops zu befürchten – was den Effekt einer Machtverschiebung hin zu den prostituierten Menschen mit sich zieht. Erfahrungsberichte zeigen, wie sich Männer vor 2002 im Vergleich zu heute verhalten haben. Waren sie vor 2002 als Prostitution rechtlich noch als „sittenwidrig“ galt, eher vorsichtig, beschämt und zurückhaltend, sind sie heute eher übergriffig, weil sie meinen es steht ihnen zu. Es ist ein Skandal, dass mittlerweile sogar Freier erfolgreich klagen, wenn sie keinen Orgasmus erleben und Schadensersatz erhalten.
Außerdem, wer argumentiert, dass durch das Nordische Modell Prostitution in den Untergrund gerät und dies zu „mehr“ Gewalt führe – erkennt ja an, dass bereits Gewalt in der Prostitution herrscht. Also worüber reden wir eigentlich?

Mythos #17: “DIE ABSCHAFFUNG VON PROSTITUTION IST EINE UTOPIE.”
Prostitution abzuschaffen, bedeutet nicht sie auszulöschen. Vergewaltigung, Mord und Pädophilie sind verboten, aber existieren weiterhin. Wichtig ist die soziale Norm, die durch die Gesetzgebung vermittelt wird: sie verankert in den Menschenrechten, dass der menschliche Körper und seine Sexualität nicht zu kaufen sind. Insbesondere nicht von Dritten zu verkaufen sind. Es kann nicht sein, dass Zuhälter heutzutage als Manager der Gastronomie, Immobilien- und Baubranche als erfolgreiche Geschäftsmänner Ansehen genießen. Die Abschaffung von Prostitution und Pornographie schafft eine Bedingung unter der eine tatsächliche Gesellschaft der Gleichberechtigung umgesetzt werden kann, insbesondere eine Gesellschaft die (gewaltfreie) Sexualität auf Augenhöhe zum Standard macht.

Quellen:
https://linke-gegen-prostitution.de/12-mythen-ueber-prostitution-und-sexkaufverbot/
https://www.hopeforthefuture.at/de/mythen-rund-um-die-prostitution/
https://www.stopp-prostitution.ch/info/mythen-ueber-prostitution
https://manuela-schon.de/wp-content/uploads/2020/01/Konzept-Nordisches-Modell-auf-kommunaler-Ebene.pdf
https://www.womenlobby.org/IMG/pdf/myths_de_newformat_web_2016.pdf